Mantelgesellschaft - Alternative zum klassischen IPO

Über einen Börsenmantel (Reverse IPO, Reverse Merger, Cold IPO, Mantelkauf) an die Börse

Gibt es noch eine Zwischenstufe zwischen Direct Listing und traditionellem IPO? Einen Modus, in dem die einfache Struktur eines Direct Listings genutzt wird, und die extreme Komplexität eines traditioneller IPOs vermieden wird?

Börsenmantel als Ausgangspunkt

Der Ablauf ist denkbar einfach: Ausgangspunkt ist eine an der Börse notierte Mantelgesellschaft. Die Mantelgesellschaft ist entweder eine ehemals operative Aktiengesellschaft, die das operative Geschäft eingestellt hat. Oder eine AG die genau zu diesem Zweck gegründet wurde. Eine „alte“ Gesellschaft hat dabei den Vorteil einer gewissen Historie und eines gewachsenen Freefloat, allerdings können aus dem ehemaligen operativen Geschäft auch nach vielen Jahren noch Haftungsrisiken auftauchen. Die saubere Lösung ist in jedem Fall eine „neue“ Mantelgesellschaft, die noch nie ein operatives Geschäft hatte.

Diese Mantelgesellschaft beschließt eine (sehr große) Kapitalerhöhung aus Sacheinlage gegen die Einbringung der Zielgesellschaft. Nach der Einbringung mittels Einbringungsvertrag werden alle Parameter der neuen Gesellschaft neu definiert. Der Geschäftszweck wird geändert, der Vorstand ausgetauscht, der Aufsichtsrat neu gewählt und die Satzung überarbeitet.

Beispiel: Am 09.10.2023 wurde die Yggdrasil SPAC 1 AG in den allgemeinen Freiverkehr in Düsseldorf aufgenommen. Das Aktienkapital beträgt 250.000 €, eingeteilt in 250.000 Stückaktien ohne Nennwert. Anteileigner sind zu 85 % der Initiator (=212.500 Aktien) und 41 weitere Aktionäre (=Freefloat). Eine interessierte Zielgesellschaft kann z. B. für die Ausgabe von 10 Mio. neue Aktien in den Mantel eingebracht werden. Das neue Aktienkapital beträgt damit 10,25 Mio. Aktien mit einem Anteil von 97,6 % der Stimmrechte. Die Zielgesellschaft kann nun mit der sehr deutlichen Stimmenmehrheit den Vorstand, Aufsichtsrat und die Satzung neu bestimmen.

Vor Einbringung

Organigramm aus dem Beispiel – vor Einbringung

Nach Einbringung

Organigramm aus dem Beispiel – nach Einbringung

Wo liegen nun die Vorteile?

Die der Transaktion sind deutlich geringer im Vergleich zu einem traditionellen IPO. Im Wesentlichen entstehen Kosten für die Erstellung des Einbringungsvertrages, dem IDW S1 Gutachten, der und der Protokollierung. In Summe liegen die Kosten regelmäßig bei <100.000 €, die auch üblicherweise durch die Liquidität der Mantelgesellschaft abgedeckt werden.

Der Zeitgewinn ist erheblich. Die oben beschriebene Transaktion kann (theoretisch) in 4-6 Wochen abgewickelt werden, wobei der größte Zeitaufwand für den Vorlauf der außerordentlichen Hauptversammlung der AG entsteht. In der Praxis ist es dennoch sinnvoll die Zeitschiene bewusst zu strecken, um auch Aspekte wie Mitarbeiterbeteiligungen etc. in Ruhe diskutieren zu können.

Ein Rechtsformwechsel von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft (oder KGaA) ist nicht notwendig, da die GmbH als Gesellschaft erhalten bleibt, nun eben als 100%-ige Tochter der (ehemaligen) Mantelgesellschaft.

Ein Timing-Risiko besteht nicht, da die Transaktion vom Marktumfeld unabhängig ist. Vielleicht ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist. Bei einem traditionellen IPO konzentriert sich der Vorlauf von 8-14 Monaten auf einen einzigen Tag – dem Emissionstag. Sollte an diesem Tag das Börsenumfeld schlecht sein (Kriege, Krisen, Verwerfungen), dann ist eine Emission nicht möglich. Zeit und Geld wurden damit vergeblich investiert bzw. es muss in einem zweiten Anlauf der Prozess neu aufgesetzt werden.

Ein Wertpapierprospekt ist für die Transaktion nicht notwendig. Sowohl das Listing der („neuen“) Mantelgesellschaft, als auch die Einbringung der Zielgesellschaft erfolgt ohne einen Wertpapierverkaufsprospekt, was wiederum Zeit und Geld spart.

Und wo liegen die Nachteile?

Ein traditioneller IPO umfasst die Aktivitäten:

  • Listing
  • Kapitalzufluss
  • IR/PR

Diese werden bei einem IPO zeitgleich umgesetzt, wobei ein Timing-Risiko entsteht, aber es ist dann auch erledigt. Bei einem erfolgt zunächst kein Kapitalzufluss, es werden die o.g. Punkte Schritt-für-Schritt umgesetzt, d.h. es beginnt mit dem Listing (dem eigentlichen ), danach beginnt IR/PR und im weiteren Verlauf können opportunistisch Kapitalerhöhungen durchgeführt werden. Trotz der seriellen Bearbeitung besteht immer noch ein Zeitvorsprung von einigen Monaten.

Anbei ein exemplarischer und detaillierter Ablauf, der bewusst zeitlich gestreckt wurde, um die internen Entscheidungsfindungen zu ermöglichen:

Pos Arbeitspaket Bearbeitung Datum
1 Arbeitssitzung:

  • Kennenlernen
  • Erste Unterlagen
NN1, NN2, WW T=0
2 Einrichtung „Kleiner“ Datenraum

  • Aktuelles pitch deck
  • Jahresabschluss 2021
  • Jahresabschluss 2022 oder alternativ BWA+SuSa 12/2022
  • Aktuelle BWA z. B. zum 30.09.2023
  • Aktuelle Susa inkl. Nullsalden, z. B. zum 30.09.2023
  • Aktuelle Debitorenliste inkl. Fälligkeiten, z. B. zum 30.09.2023
  • Aktuelle Kreditorenliste inkl. Fälligkeiten, z. B. zum 30.09.2023
  • Aktuelle Satzung/Gesellschaftervertrag
  • Handelsregisterauszug
  • AGBs
  • Bankenspiegel, z. B. zum 30.09.2022
  • Finanz- und Liquiditätsplanung bis 2025
  • Marktstudien, Analysen, etc.
NN1, NN2, WW T+10
3 Arbeitssitzung

  • Abstimmung Projektablauf
  • Festlegung Meilensteine
  • Diskussion Eckpunkte Einbringung
NN1, NN2, WW
4 Entwurf LOI NN1, NN2, WW
5 Einrichtung „Großer“ Datenraum NN1, NN2, WW
6 Arbeitssitzung: Vorbereitung Grundlagenvereinbarung

  • Beschreibung Vorhaben
  • Art der Einbringung
  • Firmensitz und Firmenname
  • Mitglieder Vorstand und Aufsichtsrat
  • Geschäftsverteilung Vorstand
  • Due-Diligence-Umfang und Due-Diligence-Prüfer
  • Prüfer Nachgründungsbericht
  • Kriterien der Unternehmensbewertung
  • Lock-up-Verpflichtung
  • Genehmigungsvoraussetzungen und Rücktrittsrechte
  • Verlautbarungen/Vertraulichkeit
  • Kostenregelung
NN1, NN2, WW
7 Unterzeichnung der Grundlagenvereinbarung NN1, NN2, WW
8 Plausibilisierung durch externes Research WW
9 Beauftragung IDW S1 Gutachten NN1, NN2, WW
10 Beauftragung Einbringungsvertrag NN1, NN2, WW
11 Beauftragung Due Dilligence NN1, NN2, WW
12 Arbeitssitzung: Erstellung Einbringungsvertrag

  • Firma und Sitz der beteiligten Unternehmen
  • Vermögensübertragung als Ganzes gegen Aktiengewährung
  • Umtauschverhältnis der Anteile
  • Einzelheiten über den Erwerb der Aktien
  • Zeitpunkt der Gewinnbeteiligung
  • Einbringungsstichtag
  • Rechte einzelner Aktionäre
  • Besondere Vorteile für Vorstand und Aufsichtsrat
  • Auswirkungen auf Arbeitgeberbelange
NN1, NN2, WW
13 Fertigstellung Einbringungsvertrag RA
14 Beschlussfassung Mantel AG

  • Finalisierung Dokumente
  • Aufsichtsratssitzung
WW, AR
15 Abstimmung Börse Düsseldorf

  • Einbindung Kapitalmarktpartner
  • Freigabe Börse Düsseldorf
NN1, NN2, WW
16 Einberufung Hauptversammlung Bundesanzeiger

  • Festlegung Termin
  • Tagesordnung
  • Auswahl Notar
NN1, NN2, WW
17 Beschlussfassung Zielgesellschaft

  • Gesellschaftervereinbarung
  • Auswahl Notar
NN1, NN2
18 Finalisierung der Dokumente

  • Hauptversammlung Tagesordnung Mantel AG
  • Gesellschafterbeschluss Zielgesellschaft
  • Hauptversammlung AG neu
    • Name
    • Vorstand
    • Aufsichtsrat
    • Firmensitz
    • Satzung
19 Hauptversammlung: Beschluss über Einbringung, Neuordnung der AG WW, AR
20 Adhoc-Meldung EQS WW, AR
21 Nachgründungsbericht WW, AR
22 Erarbeitung einer neuen Equity Story

  • Beauftragung Research
  • Beauftragung IR
  • Vereinbarung EQS
NN1, NN2, WW
23 Präsentation des neuen Unternehmens vor , Analysten und Presse NN1, NN2, WW